Redetext anlässlich der Ausstellungseröffnung von Stefanie Pöllot im Kunstverein Würzburg am 16. September 2012
Beim Betrachten von Stefanie Pöllots Installation fällt zuerst der Wald surrender Super-8 Filmprojektoren auf, von denen aus, über eine externe Spule, die meterlangen, unermüdlich rotierenden Filmstreifen geführt werden. Die Objektive sind auf Alltagsgegenstände ausgerichtet, die auf Podesten arrangiert sind. Man fragt sich, was wird hier und vor allem wohin projiziert? Eine zu erwartende Leinwand fehlt. In welcher Beziehung stehen die museal präsentierten Dinge zu den laufenden Filmprojektoren?
Bereits in den späten 60er Jahren hat das bewegte Bild Einzug in die Institutionen der bildenden Kunst gehalten. Als entscheidendes kulturelles Argument für diese Entwicklung galt seine massenhafte Verbreitung und Verfügbarkeit. Stefanie Pöllot aber überführt den Film in ihren kinematografischen Installationen in die singulare Situation eines Ausstellungsraumes. Sie verändert die Präsentationsbedingungen bewegter Bilder und stellt seine Präsentationsmittel - entgegen der gängigen Praxis des Kinos - zur Schau. Indem sie sich dessen Darstellungsbedingungen verweigert, rückt sie aber genau diese in den Fokus. Entgegen den statischen Rezeptionsbedingungen des Kinos muss sich der Betrachter bewegend durch die Installation tasten, er muss sich buchstäblich seinen Platz suchen, indem er sich durch das Umherschreiten, ohne das ein Verstehen nicht möglich ist, in Beziehung zum Gesehenen setzt.
Dann aber offenbart sich für ihn eine zauberhafte Welt: Auf den Oberflächen der Gegenstände, auf Glas und Porzellan wird Schlitten gefahren, Eis gelaufen und im Meer gebadet. Wasser rinnt herab und ergießt sich im Nichts. Die Abläufe wiederholen sich. Die immer gleichen Personen tauchen auf, vollführen ihre Taten und Gesten und verschwinden wieder, erscheinen und verschwinden wieder und wieder.
Stefanie Pöllot organisiert das filmische Material im Loop, einem Verfahren, das besonders geeignet ist, den Betrachter mit der Zeit seiner eigenen Erfahrung gegenüber der Zeit des Films zu konfrontieren. Wir haben es hier mit drei Zeitebenen zu tun: der vom Betrachter als unmittelbar wahrgenommene Gegenwart, der Zeit der Präsentation der Bilder, die nicht mit der Betrachterzeit identisch sein muss und der Zeit der Entstehung der Bilder. Entgegen dem konventionellen Erzählkino, demzufolge das Publikum emphatisch durch die Zeit des dramatischen Geschehens geführt wird, gilt der Filmloop als Inbegriff des Antiillusionismus.
Er kontrastiert in der szenischen Aufbereitung mit den dargestellten Personen und Handlungen, die die Erwartung schüren, dass hier eine Geschichte erzählt wird, linear, mit Anfang und Ende. Aber die bewegten Bilder entziehen sich jeglicher Narration, denn anstelle des Ablaufs tritt der Verlauf. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Im Raum rotierende, wabernde Filmstreifen führen nicht nur das Prinzip des bewegten Bildes haptisch und materiell vor Augen, sondern thematisieren konsequenterweise die Vermeidung des Endlichen. Insofern wird die repetitive Struktur des Loop zum strukturellen Element der künstlerischen Arbeit selbst.
Gleichzeitig entsteht ein Paradoxon: die Unwiederbringlichkeit eines Moments, also die konstant ablaufende Zeit gerät in den Fokus. Wie kann das sein? Wie kann die Wiederholung des ewig Gleichen eine Form des „memento mori" hervorbringen? Es ist der Betrachter selbst, der, ob er will oder nicht, diesen Gedanken mit ins Spiel bringt. Seine Gegenwärtigkeit und seine Endlichkeit sind die Parameter seiner individuellen Standortsuche innerhalb des vorgegebenen Raum-Zeit-Systems. In dem Moment, in dem wir der Unendlichkeit von Raum und Zeit gewahr werden, werden wir uns unserer eigenen Endlichkeit umso schmerzhafter bewusst.
Die Künstlerin bedient sich des filmischen Mediums, indem sie es zurückführt auf die beiden Ursprungsparameter Stillstand und Bewegung. Ganz bewusst arbeitet sie mit dem Anachronismus einer feststehenden Kamera, die, wie in der Stummfilmzeit, nicht bewegt wird. Die „motion" findet ausschließlich vor der Kamera, im ausgewählten Bildausschnitt statt.
Durch den Verzicht von Schwenks und Zooms, die uns aus Kino und Fernsehen so vertraut sind, bewegt sich Stefanie Pöllot weg vom Primat der Bewegung als Mittel der linearen Erzählung. Sie nutzt den Film für ihre künstlerische Praxis, indem sie ihn auf seine Substanz zurückführt, auf das bewegte Bild als solches (Panofsky). Der Film wird damit ein technisches Registrierinstrument für empirische Bewegung(Rebentisch). Im Grunde ist der Begriff des „bewegten Bildes" in diesem Zusammenhang auch nicht ganz zutreffend. Es handelt sich ja nicht um ein bewegtes Bild, sondern vielmehr um eine Bewegung IM Bild.
Dieser Gedanke wird bei Stefanie Pöllot konsequent in die Präsentationsform des Films überführt, wobei die Modi der äußeren Form, der Oberfläche und der Zweidimensionalität aufgebrochen und neu definiert werden. Flächen, Oberflächen, Projektionsflächen sind gemeinhin Orte, an die Bilder gekoppelt werden können. Stefanie Pöllot fügt die dritte Dimension hinzu. Bild und Gegenstand gehen eine Symbiose ein. Das projizierte Bild wird zusätzlich gesplittet durch die Anzahl und das Arrangement der Gegenstände. Das vertraute Rechteckformat des Tafelbildes wird aufgegeben zugunsten der unregelmäßigen, dreidimensionalen Umrissform der Gegenstände. Zweidimensionales und Dreidimensionales verschmelzen miteinander.
Die Künstlerin denkt ihre Installationen ausgehend vom Bild als solchem. Das Bild und seine Oberfläche stehen im wahrsten Sinne, also auch bildlich gesprochen, im Fokus. Die Präsentation des Bildes wird regelrecht inszeniert. Es wird einerseits durch die hinzukommende Bewegung erweitert, andererseits in seine Bestandteile zerlegt. Seine Grundvoraussetzungen (die Flächigkeit, das Statische, die Oberfläche, die äußere Begrenzung, das Format) werden einer ständigen Prüfung unterzogen.
In der Arbeit von Stefanie Pöllot nehmen Orte einen wichtigen Platz ein, zum einen, weil ihre Installationen häufig ortsbezogen sind bzw. speziell, wie in diesem Fall, für einen bestimmten Ort geschaffen worden sind, zum anderen, weil die Künstlerin verschiedene Realitätsebenen über Orte definiert.
Die Abbildung von Wasser in all seinen Aggregatzuständen, wie Eis und Schnee, ist im Werk der Künstlerin zentrales Motiv, das ihre persönliche Affinität zu diesem Element ausdrückt. Für sie war es daher eine besonders reizvolle Herausforderung, eine Installation auf einem schwimmenden Schiff anzufertigen.
Die innerhalb des Schiffsbauchs aufgestellten Podeste definieren neue Orte, sozusagen Orte im Ort. Die darauf arrangierten Gegenstände haben mit Flüssigkeiten, mit Gießen und Ausgießen zu tun: verschiedene Kannen, Flaschen und Gläser. Auf ihnen wiederum verortet die Künstlerin die filmischen Sequenzen, diewohl überlegt, ganz bewusst bestimmten Gegenstandsgruppen zugewiesen werden. Motiv und Gegenstand verschmelzen auf diese Weise zu einem neuen Ort-Zeit-System und verweisen auf übergeordnete, das Große, Ganze thematisierende Bedeutungszusammenhänge.
Ein Beispiel: Sie werden eine Filmaufnahme hier entdecken, die sprudelndes, fließendes Wasser abbildet. Sie stammt von der Sophienquelle, einer barocken Quellanlage in der Nähe von Altdorf bei Nürnberg, in der das Wasser der Schwarzach in Kaskaden zu einem kleinen Teich und weiterhin unterirdisch in die Rednitz geführt wird und über die Regnitz bei Bischberg, nordöstlich von Bamberg in den Main fließt und somit auch das Gewässer mitbestimmt, auf dem dieses Schiff hier schaukelt. Bekanntlich fließt der Main in den Rhein, der seinerseits in die Nordsee mündet, wo ebenfalls Filmaufnahmen entstanden sind, die in dieser Installation verarbeitet wurden.
Für das filmische Material sucht Stefanie Pöllot ganz gezielt nach Motiven. Es sind stille und klare Bilder, die mit Erinnerungen aus der Kindheit verknüpft sind: Schlittenfahren, Eislaufen usw. Sie öffnen ein Fenster in eine - wie es scheint - weit zurückliegende Welt, in einer in der Vergangenheit liegenden versunkenen Zeit. Wir sind es gewohnt, Erinnerung mit dem Spektakulären zu verknüpfen. Entgegen dieser Praxis verbindet Stefanie Pöllot jedoch das Unprätenziöse mit Erinnerung. Ihre Welt ist die Magie der kleinen Dinge, denen sie auf einzigartige Weise poetischen Zauber verleiht.
Stefanie Pöllot arbeitet mit Kontexten, Bedeutungen und Assoziationen, die sie in einem System von miteinander verschränkten Orts- und Zeitbezügen verknüpft. Ihre Kunst ist eine Zeitkunst. Die Intergration kinematografischer Verfahren ist in diesem Zusammenhang nicht nur konsequent, sondern erscheint geradezu notwendig. Nicht nur durch die repetitive Struktur des Loop, sondern auch durch die spezifische Organisation des filmischen Materials mittels einer ausgeklügelten räumlichen Dramaturgie aller installativen Elemente gelingt es ihr, Raum und Zeit zu verdichten, zu verräumlichen und zu binden. Die Arbeit von Stefanie Pöllot zielt darauf ab, eigene Zeitmuster zu entwerfen, unterschiedliche Zeit- und Realitätsebenen offen zu legen, ihr Verhältnis zueinander zu prüfen und in neue Dimensionen zu überführen.
Über allem schwebt eine melancholische Grundstimmung. Metaphysisches formuliert Stefanie Pöllot still und leise. Die Künstlerin führt dem Betrachter vor Augen, dass die Zeit nicht aufzuhalten ist und auch der eben gerade verstrichene Moment nicht wiedergewonnen werden kann. Es ist die Erkenntnis über das unwiederholbar Verlorene, das einer Vertreibung aus dem Paradies gleich zu sein scheint, aber dennoch federleicht, mit zauberhaftem Charme formuliert wird.
Walter Benjamin hat den Film als das Medium benannt, das für den Verlust der Aura des Kunstwerks symptomatisch ist. Stefanie Pöllot gelingt es auf einzigartige Weise, mit ihren kinematografischen Installationen dem Kunstwerk wieder eine Aura zurückzugeben.
Susanne Holst Steppat, freie Kunsthistorikerin