Laudatio für Stefanie Pöllot
anlässlich der Verleihung des Otto Grau-Kulturpreises 2020 an Stefanie Pöllot am 10. März 2020 im Kunstmuseum Erlangen
ISeit Ende der 1960er Jahre erfuhr die Kunst durch die Videotechnik eine radikale Veränderung. Mit dem sog. Portapack, einem tragbaren Aufnahme- und Abspielgerät war es Künstlern nun einfacher möglich, das bewegte Bild als Medium in ihre Arbeit zu integrieren.
Werke der Videokunst - Pioniere Les Levine und Nam June Paik, letzterer bekannt durch Videowände, -türme und -skulpturen mit bis zu 1000 Monitoren, öffneten ihren Nachfolgern die Türen weit für diese Technik. Seitdem gibt es kaum eine Biennale, Messe oder eine Documenta mehr ohne Videokunst. Sie ist seitdem zu einer Sparte der postmodernen Kunst geworden und wird von einem kleinen, feinen Kreis gesammelt.
Heute, rund 50 Jahre später, ist durch die fortschreitende Digitalisierung die Videotechnik selbst für jeden nichtkünstlerisch tätigen Smartphone-Benutzer zugänglich und er kann Filme aufnehmen und mittels etlicher Applikationen weiterbearbeiten wie filtern, verzerren, schneiden und vieles andere mehr.
Das Video hat damit die Gesellschaft erobert.
Youtube macht es möglich und neuerdings Tiktok, eine App, in der besonders die Jugendlichen eine Unmenge wie auch immer gearteter Filme verbreiten.
Globalisierung, Digitalisierung, Echtzeitkommunikation und Milliarden von Menschen mit Zugang zu den Social Media bedeutet, dass die bewegten Bilder mittlerweile das Kommunikationsmittel der Gegenwart geworden sind. Panta Rhei, alles fließt, erhält eine den Globus durchdringende Bedeutung. Dass sich permanent alles überall bewegt, das wissen wir längst. Im Zeitalter der Digitalisierung erlangen Begriffe wie Dynamik, Zeit und Distanz eine neue Qualität, sowohl eine gute als auch eine schlechte.
Der Kunsthistoriker Michael Baxandall schrieb in seinem Buch „Die Wirklichkeit der Bilder“: „Eine Gesellschaft entwickelt die für sie charakteristischen Fähigkeiten und Gewohnheiten, die einen visuellen Aspekt haben, da der Sehsinn das wichtigste Organ der Erfahrung ist; und diese visuellen Fertigkeiten und Gewohnheiten gehen ein in das Medium des Malers; entsprechend bietet der malerische Stil einen Zugang zu den visuellen Fähigkeiten und Gewohnheiten und über diese auch zu den charakteristischen gesellschaftlichen Erfahrungen.“ Zitat Ende . Hierbei handelte es sich um Renaissancemalerei. In den Grundzügen hat sich die Gesellschaft also bis heute nicht verändert.
Nah an der Realität und doch weit entfernt davon im virtuellen Raum. Die Grenzen sind fließend und die junge Generation kann nur mehr schwer erkennen, was wahr oder reines Fake oder Fiktion ist. Jene Wirklichkeit der Bilder, bekommt hier im übertragenen Sinne eine Metaebene. Sichtbar, in Teilen begreifbar, aber nicht greifbar sind diese Bilder, greifbar ist nur die Hardware.
Stefanie Pöllot hat im weiten Feld der aktuellen Kunst ihren Platz gefunden. Sie widmet sich filmisch dem Genre des Stilllebens und zeigt in dieser die Preisverleihung begleitenden Schau eine erkleckliche Auswahl ihres Schaffens aus den vergangenen Jahren.
Während ihres Studiums der Malerei bei Hans Peter Reuter an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg legte sie den Pinsel im
6. Semester beiseite und widmete sich fortan der Fotografie. Sie arbeitete zunächst seriell, nach geraumer Zeit ging daraus ihr Interesse an den laufenden Bildern hervor. Zunächst arbeitete sie mit kurzen Loops, danach intensivierte sie seit etwa 2001 das Filmen – seitdem malt sie gewissermaßen mit bewegtem Licht. Sie setzt weitere Bildräume in einen vorhandenen Bildraum ein und erzielt zusätzliche Tiefe durch Spiegelung von Immateriellem in Objekten ihrer Stillleben. Damit wie mit dem Wechsel von Vorwärts und Rückwärtslauf provoziert sie Irritationen und stellt eine künstliche Welt her.
Zeit ist ein maßgeblicher Parameter in den Arbeiten, sie zeigt sich stets durch das Vollführen von Bewegungen. Sie ist linear wie das Abrollen eines Zelluloidfilms. Stefanie Pöllot beeinflusst die Zeit durch verschiedene Tempi, die sie innerhalb eines Werks zusammenführt. Tempi mit denen sie unsere Sehweise entschleunigt.
Die bewegten Stillleben sind ihr Markenzeichen und sie hat darin ihren authentischen Ausdruck gefunden. Man merkt den Arbeiten die Herkunft der Künstlerin aus der Malerei an und bemerkt ihre Neigung zu Werken der altniederländischen Meister, da sie z.B. Blumen zeigt, die nie zur gleichen Zeit blühen, wie dies in Werken von Malern wie z.B. Joachim Beuckelaer oder Jan und Cornelis de Heem der Fall war. Ihre ausgewogenen Kompositionen und klugen Akzente erinnern an das Helldunkel und das zurückhaltende Kolorit jener Zeit.
Vor dunklem Hintergrund erscheinen die auf Objekte projizierten Bilder und ihr Licht zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters magisch an.
Pöllot arrangiert nostalgische Gegenstände wie Porzellanvasen, Kristallschalen, Flakons, Bilderrahmen und Stoffe zu Stillleben, die ihr als Umgebung und Wiedergabefläche weiterer Bilder im Bild dienen.
Steter motivischer Begleiter ist ihr das Wasser in all seinen Aggregatszuständen, als leise rieselnder Schnee und Eis, als fließendes Medium, als Meeresbrandung, als dampfförmige Wolke, als Tau: die permanente Bewegung ist dem lebensnotwendigen Stoff eigen. Urbilder, uns allen bekannt, Sehnsüchte, Erinnerungen von Stefanie Pöllot zu poetischen Bildern verarbeitet.
Ihr Oeuvre besteht aus Screens, Projektionen und Videoinstallationen, sowie Videostills.
Ein Video ist nicht genug, daher bildet die Künstlerin daher bis zu vier Videos (im Falle des Werks „Wassersammlerin“ aus dem Jahr 2010) in ihren Werken ab. Hierbei arbeitet sie mit kleinen Handbeamern, deren Projektionsfläche sie exakt auf die Gegenstände abstimmen muss, auf denen das Bild im Bild gezeigt wird. All das nimmt sie parallel mit aufwändiger Technik analog auf.
Alle Werke sind tonlos. Pöllot verzichtet auf musikalische Untermalung oder die Geräusche dessen, was in den minutiös eingearbeiteten Videos zu sehen ist. Warum auch? Wir wissen wie fließendes Wasser oder das rauschende Meer klingt oder das quietschende Kettenkarussell, das Gleiten von Skifahrern oder die Kufen der Eisläufer.
Ihre traumartigen Sequenzen greifen tief in unseren Erfahrungsschatz – wir fühlen uns irgendwie heimisch und sind fasziniert ob der Bewegtheit dieser zarten, innigen Bilder, mit denen die Künstlerin auf die Kunstgeschichte verweist und an unser kulturelles Gedächtnis appelliert.
Seit gut und gerne 500 Jahren ist das Stillleben eine feste Größe der Kunst. Zunächst als Zusatz in Interieurs spätmittelalterlicher Gemälde zu finden, seit dem Frühbarock dann autark als Gattung der Malerei und symbolhaltiges Genre mit einer Blütezeit zwischen Anfang des 17. bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Blumen auf dem höchsten Punkt ihrer Blüte, kurz bevor sie welk werden, Insekten und Falter. Nature morte.
Drapiert und artifiziell arrangiert zeigten die Gegenstände vieler dieser Arbeiten ebenso wie bei Pöllot keine Ausschnitte aus dem täglichen Leben. Im Gegenteil, man mag sie eher als Such- und Rätselbilder bezeichnen, als Trompe l‘oeils, die eine lange und (um ein Adjektiv jener Zeitstellung zu verwenden) erbauliche Betrachtung in all ihrer Detailgetreue gewährleisteten und die zeigten, was sich der Besitzer sowohl künstlerisch-qualitativ als auch in seinen privaten Räumlichkeiten an schönen, teuren Dingen leisten konnte.
Auf den historischen Stillleben wird daher eine Welt der Dinge sichtbar von erlegten Vögeln, rohem Fleisch über Fische und Obst und Gemüse bis hin zu Delfter Keramik, diversen Glasgefäßen, Silber, Zinn, Brokat.
Die Stillleben-Maler waren hervorragende Beobachter der Oberflächen und bewiesen ihr meisterliches Können in der naturalistischen Wiedergabe verschiedenster Stofflichkeit. Mit Licht, Glanz und Spiegelungen und Transparenz setzten sie virtuose Akzente.
Es zeigt sich die Endlichkeit allen Seins in den Vanitas-Motiven und es erschienen religiös aufgeladene Darstellungen und Hinweise auf die menschliche Moral, wie weitere Andeutungen, die wir heute nicht mehr so einfach aus den Werken herauslesen können.
Die sensibel arrangierten Videos von Stefanie Pöllot weisen auf dieses für die Malerei bedeutende Genre hin. Dort spürt sie in verschiedensten Objekten dem nach, was im Barock State of the art des Stilllebens war. Den Flaschen, Porzellankannen und Flakons geht sie ikonografisch auf den Grund, indem sie sie in Projektionsflächen verwandelt, quasi den Inhalt nach außen kehrt, der einst durch den Gegenstand selbst erklärt war: Wasser.
Wogende Wellen oder rauschende Wasserfälle, eine Schwimmende.
Die Spiegelung einer Tänzerin im Wasserbecken aufgenommen in Zeitlupentechnik, eine Augentäuschung: Irrealität hoch zwei.
Die elegante Bewegung, die Anmut der Ballerina sowie schwingende Tutus und synchrone Schritte, all dies hat es ihr angetan und lässt sich in anderen Arbeiten wiederfinden.
Wie die Betrachter im Zeitalter des Barock, sind wir hingerissen von den Bildern in den Bildern, von den Kompositionen mit den präzise in die Gegenstände eingesetzten Videos.
Die Künstlerin entführt uns aus der Gegenwart mit nostalgischen Verweisen, sie führt uns hinein in das Flimmern ihrer entrückten Bildräume, in denen sie Stille sichtbar macht. Fasziniert von der Akkuratesse und dem immensen Aufwand, der im Werkprozess steckt, genießen wir die tonlos bewegte Atmosphäre und die Poesie dieser Arbeiten.
Pollöts Transferleistung für die Ästhetik des klassischen Stilllebens in das Video des 21. Jh. ist nicht hoch genug zu schätzen. Der einstigen Bewegungslosigkeit, der Stille wird von ihr Lebendigkeit eingehaucht. Sie führt das Sujet im 21. Jh. mit zeitgenössischen Mitteln fort.
Stefanie Pöllot ist ihrer Heimatstadt und somit unserer Region treu geblieben, was zeigt, dass in unserer unmittelbaren Umgebung wunderbare Kunst entsteht und wir nicht auf andere Großstädte schielen müssen. Die Kunst ist Teil unserer Kultur, unserer Geschichte und unserer Gesellschaft. Stefanie Pöllots einzigartiges Werk ist der beste Beweis.
Darum wird ihr heute der Otto Grau - Kulturpreis verliehen.
Barbara Leicht M.A., Kunsthistorikerin